Zwischen allen Stüh­len? Mode­ra­tion von Verhand­lungs­pro­zes­sen.

27. März 2018 von Dirk Jung

Man findet sehr viel Fach­li­te­ra­tur und Fort­bil­dungs­an­ge­bote zum Thema „Wie verhan­dele ich erfolg­reich?“ – wobei die Defi­ni­tion von „Erfolg“ vom jewei­li­gen Ansatz abhängt, d.h. es kann der „Sieg“ über den Verhand­lungs­part­ner gemeint sein oder das Errei­chen eines Win-Win Ergeb­nis­ses und einer lang­fris­tig trag­fä­hi­gen Bezie­hung, wie es vor allem der klas­si­sche HARVARD Ansatz propa­giert [1].
Wer aller­dings nach metho­di­schen Ratschlä­gen sucht, wie man aus einer neutra­len Posi­tion heraus einen Verhand­lungs­pro­zess zwischen mehre­ren Parteien berät, beglei­tet und mode­riert, wird nur sehr schwer fündig. Umso glück­li­cher waren wir, als wir in dem sehr umfas­sen­den Werk „Media­tion und Verhand­lungs­füh­rung” [2] einige wert­volle Tipps und Tech­ni­ken hier­für fanden, die wir gern an dieser Stelle mit Ihnen teilen.

Rolle und Mandat beim Verhan­deln

Wie in jeder Bera­tung müssen alle Betei­lig­ten eine klare Verein­ba­rung darüber tref­fen, welches Mandat und welche Rolle der/die Verhandlungsberater/in haben soll. Um die Viel­falt der Möglich­kei­ten zu illus­trie­ren, hier eine kleine Auswahl:

  • Unter­stüt­zung des infor­mel­len Austau­sches (z.B. vor Verhand­lun­gen, unsicht­bare Diplo­ma­tie)
  • Unter­stüt­zung der Parteien durch eine bessere Vorbe­rei­tung auf die Verhand­lun­gen
  • Unter­stüt­zung durch profes­sio­nelle Mode­ra­tion von Gesprä­chen
  • Unter­stüt­zung bei der Schaf­fung eines ange­neh­men Verhand­lungs­kli­mas
  • Unter­stüt­zung bei der Unter­su­chung und Analyse der Fakten (tech­ni­sche Bera­tung)
  • Unter­stüt­zung während des Prozes­ses als methodische/r “Verhandlungslehrer/in”
  • Unter­stüt­zung bei der Opti­mie­rung von Verein­ba­run­gen in der Nach­ver­hand­lungs­phase
  • Unter­stüt­zung durch eigene Entschei­dun­gen / Schieds­sprü­che (wenn die Parteien dies wünschen)
Verhandlungsberater*innen können viel­fäl­tige Rollen über­neh­men

Da sich die Bera­ten­den meist unter der oft miss­traui­schen Beob­ach­tung aller Verhand­lungs­par­teien befin­den, sind sie gut bera­ten, die eigene, einmal defi­nierte und verein­barte Rolle im laufen­den Prozess nicht zu verlas­sen.

Wenn die Parteien sich hassen – zwei bewährte Verhand­lungs­tech­ni­ken

Was tun, wenn die verhan­deln­den Parteien eigent­lich gar nicht direkt mitein­an­der spre­chen wollen, z.B. weil die Bezie­hun­gen zerrüt­tet und die Aggres­sio­nen hoch sind? Hier haben sich zwei Tech­ni­ken beson­ders bewährt, die häufig im poli­ti­schen Bereich Anwen­dung finden:

1. Shut­tle-Mode­ra­tion

Diese Form der Unter­stüt­zung wird auch Pendel­me­dia­tion genannt. Die Parteien tref­fen sich nicht gleich­zei­tig am selben Ort, sondern die Mode­ra­tion pendelt zwischen den Konflikt­par­teien hin- und her und führt mit den Konflikt­par­teien vertrau­li­che Einzel­ge­sprä­che. Die Shut­tle-Mode­ra­tion ist dadurch auch bei hoch­strit­ti­gen Parteien einsetz­bar. Sie gilt deshalb als beson­ders effi­zi­ent, weil hier elek­tro­ni­sche Kommu­ni­ka­ti­ons­tech­nik (Tele­fon, Email, Skype, u.a.) einge­setzt werden darf.

Ein bekann­tes erfolg­rei­ches Beispiel einer Shut­tle-Mode­ra­tion ist die von Jimmy Carter 1978 in Camp David geführte Verhand­lung im Ägyp­tisch-Israe­li­schen Konflikt. Jimmy Carter pendelte zwischen Anwar as-Sadat (Ägyp­ten) und Menachem Begin (Israel) hin und her und erreichte am Ende ein Abkom­men zwischen den Staa­ten.

2. One-paper Mode­ra­tion

In der klas­si­schen Form tref­fen sich hier die Verhand­lungs­par­teien am Anfang und am Ende des Prozes­ses. Der gesamte Verhand­lungs­pro­zess ist auf ein einzi­ges Schrift­stück fokus­siert und der Bera­tende ist per Mandat „Verwal­ter“ dieses Papiers. Es gibt außer diesem Doku­ment keine ande­ren Doku­mente im Verhand­lungs­pro­zess (wich­tig!). Es enthält den Entwurf eines mögli­chen Verhand­lungs­er­geb­nis­ses in seinen unter­schied­li­chen Phasen der Konsens­bil­dung. Mit ande­ren Worten, alle Verhand­lungs­par­teien konzen­trie­ren sich auf die Arbeit an dem Text. Im Text wiederum sind strit­tige Passa­gen bzw. Alter­na­tiv­vor­schläge in eckige Klam­mern gesetzt, das bedeu­tet, hier­über muss noch disku­tiert und Einig­keit erzielt werden. Die Verhand­lung ist erst been­det, wenn der Verein­ba­rungs­text keine ecki­gen Klam­mern mehr enthält. Ein promi­nen­tes Beispiel ist die Diskus­sion um den Welt­kli­ma­ver­trag, bei dem es phasen­weise offen­bar sehr viele eckige Klam­mern gab:
„Zehn Tage hatte der Klima­gip­fel in Paris bereits gedau­ert, ehe die erste Krise aufzog. Auf den Tisch lag der erste Entwurf des Klima­ver­trags, ellen­lang und mit Hunder­ten ecki­gen Klam­mern verse­hen. Die Klam­mern markier­ten die strit­ten Punkte, sie gaben Optio­nen vor. Im Kern waren es drei große Streit­the­men.“ [3] 

Wenn nichts mehr geht – 5 Versu­che ist es noch wert!

Zu den Stern­stun­den einer Verhand­lungs­mo­de­ra­tion gehört es, wenn fest­ge­fah­rene Verhand­lun­gen wieder in Bewe­gung gebracht werden und die sprich­wört­li­che „Kuh vom Eis“ geholt wird. Hierzu sind die Verhand­lungs­par­teien selbst oft nicht mehr in der Lage. Folgende Metho­den haben sich in der Praxis beson­ders bewährt, um in dieser Situa­tion doch noch einen „Durch­bruch“ zu erzie­len:

1. Zusätz­li­che Fragen stel­len

Die Mode­ra­tion speist erwei­ternde Fragen und zusätz­li­che Themen in die Verhand­lun­gen ein
(z.B. es geht nicht nur um den Preis des Hauses sondern auch um Zahlungs­be­din­gun­gen, Reno­vie­rung bestimm­ter Elemente, Kosten für Archi­tek­ten, neuer Anstrich in der Küche). Hier­durch wird die Verhand­lungs­masse erwei­tert und die Fixie­rung auf einen einzi­gen Streit­punkt mögli­cher­weise aufge­löst.

2. Unspe­zi­fi­sche Entschä­di­gung

Eine Partei verzich­tet während der Verhand­lung zuguns­ten der ande­ren Partei auf eine ihrer Inter­es­sen und erhält außer­halb der eigent­li­chen Verhand­lung dafür eine Entschä­di­gung. Beispiel: “Ok. Ich gehe mit Dir heute Abend ins Kino, um diesen schreck­li­chen Film zu sehen. Aber du wirst mir dafür morgen einen elegan­ten Mantel kaufen. ” Oder: „Wir akzep­tie­ren die Errich­tung einer Müll­ver­bren­nungs­an­lage. Aber Ihr werdet uns aber im nächs­ten Jahr dafür ein öffent­li­ches Schwimm­bad finan­zie­ren!”

3. “Logrol­ling” (Austausch von Gefäl­lig­kei­ten)

Dieses Verfah­ren ist vor allem im poli­ti­schen Bereich verbrei­tet. Eine Partei verzich­tet auf eine ihrer weni­ger wich­ti­gen Forde­run­gen und erhält dafür die Unter­stüt­zung der ande­ren Partei für eine ihrer wirk­lich prio­ri­tä­ren Forde­run­gen. Der Begriff stammt aus der ameri­ka­ni­schen Pionier­zeit, als sich Fami­lien gegen­sei­tig beim Haus­bau helfen muss­ten: Wir helfen Euch, Eure Baum­stämme („logs“) zu rollen, und Ihr helft dafür uns.

4. “Bridging” (Brücken bauen)

Hier geht es darum, die Verhand­lungs­the­men auf eine krea­tive Art und Weise so mitein­an­der zu verknüp­fen, dass jeder Akteur die eige­nen Inter­es­sen befrie­di­gen kann. Zwei Beispiele:

  • Peter möchte seine Ferien in den Bergen verbrin­gen, seine Freun­din möchte dage­gen im Meer schwim­men. Statt zu strei­ten machen sie ein Brain­stor­ming und verbrin­gen schließ­lich ihren gemein­sa­men Urlaub auf der Insel Tene­riffa, wo es Meer und Berge zugleich gibt.
  • Große Super­märkte wollen ihre Produkte so billig wie möglich einkau­fen. Wenn die Produk­ti­ons­kos­ten stei­gen, haben vor allem kleine und mitt­lere Produ­zen­ten wenig Chan­cen, diesen Anstieg an den Groß­han­del weiter­zu­rei­chen, denn die Super­märkte wollen die Preise für die Verbrau­cher nicht erhö­hen. Krea­tive (und trau­rige) Lösung: Redu­zie­rung der Füll­menge pro Packung oder Redu­zie­rung der Packungs­größe bei gleich­blei­ben­dem Preis.
Konflikte sind oft Ausgangs­punkt für etwas Besse­res

5. “Pakete” packen

Im Gegen­satz zu “Salami-Taktik“, bei der um jedes Verhand­lungs­thema einzeln gerun­gen wird, geht es hier darum Lösungs„pakete“ vorzu­schla­gen, die die Verhand­lungs­the­men in verschie­de­nen Lösungs­for­men und Verbind­lich­keits­gra­den kombi­nie­ren. Ein Paket­bei­spiel: 1 Gebraucht­wa­gen, 3 Jahre alt, 4 neue Reifen, Zahlun­gen in drei Raten inner­halb von 6 Mona­ten.

Die Beglei­tung und Bera­tung von Verhand­lun­gen ist nichts für schwa­che Nerven. Das Mini­mal­ziel einer profes­sio­nel­len Verhand­lungs­be­glei­tung sollte unse­res Erach­tens darin bestehen, trag­fä­hige Bezie­hun­gen zwischen den Parteien herzu­stel­len oder zu erhal­ten, auch wenn in der Sache mögli­cher­weise kein Konsens erzielt werden kann.

Konflikte sind nicht per se schlecht: Oft bieten sie große Chan­cen, etwas Neues, viel­leicht sogar Besse­res entste­hen zu lassen. Mit Haltung und metho­di­schem Reper­toire mode­rie­ren wir gerne auch in Ihrer Orga­ni­sa­tion. Wir freuen uns auf Ihre Anfrage!

Hinweise:

„Bei oben­ge­nann­ten Autoren werden Media­tion und Mode­ra­tion teils wech­sel­sei­tig verwen­det. Zur kurzen Klärung: Media­tion ist eine spezi­fi­sche Methode der Konflikt­be­ar­bei­tung mit Hilfe Drit­ter. Unter­schied­li­che Tech­ni­ken der Media­ti­ons­me­thode können in der Arbeit eines/einer Moderators/Moderatorin zum Einsatz kommen. Die hier genannte Shut­tle-Media­tion ist in der Poli­tik auch besser gekannt als „Shut­tle-Diplo­ma­tie“.

Der Lesbar­keit halber verwen­den wir in diesem Arti­kel an manchen Stel­len nur das gram­ma­ti­ka­li­sche Geschlecht – es sind aber immer alle Geschlech­ter gemeint!

Lite­ra­tur­hin­weise:

[1] Roger Fisher, William Ury & Bruce M. Patton: Das Harvard-Konzept: Der Klas­si­ker der Verhand­lungs­tech­nik. Campus Verlag, Frank­furt a.M., 23. Auflg, 2009.

[2] Sieg­fried Rosner & Andreas Winhel­ler: Media­tion und Verhand­lungs­füh­rung. Theo­rie und Praxis des wert­schöp­fen­den Verhan­delns – nicht nur in Konflik­ten. Reiner Hampp Verlag, München, 2012.

[3] Wie es war: Die fried­lichste aller Revo­lu­tio­nen. Hambur­ger Abend­blatt. 24.12.2015, https://www.abendblatt.de/ratgeber/wissen/article206858669/Wie-es-war-Die-friedlichste-aller-Revolutionen.html