Wir alle sind „Gene­ra­tion Y“ – oder: Gibt es die über­haupt?

2. Dezember 2014 von Anna Schulte

„Endlich Wochen­ende.“ Dieser Ausspruch ist wohl allen vertraut: leicht seuf­zend verab­schie­den sich Kolleg*innen frei­tags nach­mit­tags aus dem Büro, werden Songs im Radio anmo­de­riert, lassen sich Paare abends aufs Sofa fallen. Sie alle freuen sich vor allem auf eins: Zwei Tage ohne Lohn­ar­beit. Heißt das über­setzt, wir verbrin­gen fünf von sieben Tagen – also einen Groß­teil unse­rer Lebens­zeit – mit Dingen, die wir eigent­lich anstren­gend und nervig finden? Mit dem einzi­gen Ziel endlich ein wenig Frei­zeit zu haben und in Eile die Dinge zu tun, die uns wirk­lich wich­tig sind? 30 junge Menschen aus Berlin finden: „Nein“ – das kann es nicht gewe­sen sein. 

Und so grün­de­ten die Absolvent*innen der School of Design Thin­king am Hasso-Platt­ner-Insti­tut in Pots­dam 2009 die Inno­va­ti­ons­be­ra­tung „Dark Horse Inno­va­tion“. Alle 30 Co-Foun­der der „Dark Horse Inno­va­tion“ gehö­ren laut Defi­ni­tion zur viel zitier­ten und durch­aus auch viel kriti­sier­ten soge­nann­ten „Gene­ra­tion Y“. Demo­gra­fisch beschrie­ben zählen dazu all dieje­ni­gen, die zwischen 1980 und 1995 gebo­ren sind. Sozio­lo­gisch defi­niert Wiki­pe­dia die Gene­ra­tion Y als „vergleichs­weise gut ausge­bil­det (…) mit tech­no­lo­gie­af­fi­ner Lebens­weise (…). Sie arbei­tet lieber in virtu­el­len Teams als in tiefen Hier­ar­chien. Anstelle von Statuts und Pres­tige rücken die Freude an der Arbeit sowie die Sinn­su­che ins Zentrum. (…) Nicht erst nach der Arbeit beginnt für die Gene­ra­tion Y der Spaß, sondern sie möchte schon während der Arbeit glück­lich sein (…).“ Kritiker*innen bemän­geln an ihr den Unwil­len sich ein- und anzu­pas­sen und finden den Anspruch an Arbeit ganz schön hoch gehängt.

Revo­lu­tion der Arbeits­welt

Der Anspruch der 30 „Dark Horse-Gründer*innen“ passt indes genau zur oben stehen­den Defi­ni­tion. Die 30 woll­ten Arbeit, die „alles“ bringt – Sinn und Spaß und ausrei­chend Geld. Und ein Arbei­ten, das gemein­sam funk­tio­niert, ohne am Ende einem klei­nen Kreis die „Führung“ zu über­las­sen. Also 30 Gründer*innen? Gemein­sam und gleich­be­rech­tigt? Das klingt zuerst einmal fast utopisch idea­lis­tisch. Derlei Versu­che gab es ja schon mal: stun­den­lange Diskus­sio­nen im Kollek­tiv, ergeb­nis­lose Abwä­gun­gen und ein träges System ohne schnelle Entschei­dun­gen. Nicht wenige haben das Vorha­ben für komplett verrückt gehal­ten – im vorlie­gen­den Falle hat es trotz­dem funk­tio­niert: Dark Horse Inno­va­tion ist bis heute eine in Berlin-Kreuz­berg ansäs­sige GmbH, mit 30 Co-Foun­dern, 3 Geschäftsführer*innen ohne interne Sonder­rechte, viel­fäl­ti­gen Kund*innen und span­nen­den Projek­ten. Dark-Horse-Foun­der werden gerne als Spea­ker auf Kongresse und Tagun­gen gela­den – unter ande­rem auch als Vertreter*innen der viel besun­ge­nen „Gene­ra­tion Y“.

Aber gibt es die über­haupt – die Gene­ra­tion Y? Und wie genau soll all das schöne Ideal denn wirk­lich im Firmen­all­tag funk­tio­nie­ren? Welche Mecha­nis­men braucht es, um gemein­sam aber dennoch schnell zu entschei­den, um Hier­ar­chien zu vermei­den und dennoch arbeits­fä­hig und fair zu blei­ben? Und muss es immer gleich eine neue Firma sein, kann man nicht manches auch in bestehen­den Struk­tu­ren ändern (die funk­tio­nie­ren ja schließ­lich auch)?

Graphisches Buchcover Thank God it's Monday

Antwor­ten auf diese und andere Fragen findet man jetzt in einem Buch mit dem Titel „Thank God it´s Monday“ – erschie­nen im Econ-Verlag, geschrie­ben von „Dark Horse Inno­va­tion“ (nur im Klein­ge­druck­ten findet man die Namen derje­ni­gen, die die Texte verfass­ten. Das Buch ist eben auch ein Gemein­schafts­werk.)

„Thank God it´s Monday“ kontras­tiert auf unter­halt­same und sprach­lich fein verpackte Weise die „Frei­tags­welt“ mit ihren klas­si­schen Karrie­re­pfa­den und hier­ar­chie­ge­präg­ten Moti­va­ti­ons­mo­del­len mit der „Montags­welt“. In ihrem Buch gewäh­ren die Design-Thin­ker den Leser*innen Einbli­cke in ihre Arbeits- und Gedan­ken­welt – ohne dabei aus dem Blick zu verlie­ren, dass sie als gut ausge­bil­dete Akademiker*innen eine privi­le­gierte Bevöl­ke­rungs­gruppe reprä­sen­tie­ren und dass sich das „Dark Horse Modell“ wohl nicht als Scha­blone auf alle Arbeits­kon­texte und Orga­ni­sa­ti­ons­for­men über­tra­gen lässt. Es ist eine span­nende Lektüre für alle, die lieber „von“ der Gene­ra­tion Y als „über“ diese lesen möch­ten.

Warum Stem­pel nicht helfen

Ich als End-Drei­ßi­ge­rin (also nach offi­zi­el­ler Defi­ni­tion keines­falls Gene­ra­tion Y) habe mich in vielem wieder erkannt und habe Fragen und Inspi­ra­tio­nen mitge­nom­men für meine Arbeit als Bera­te­rin und Team­mit­glied von denk­mo­dell. Dass die „Frei­tags­welt“ aus meiner Sicht facet­ten­rei­cher ist als im Buch manch­mal durch­klingt, und dass ich durch­aus viele Menschen kenne, die auch in „klas­si­schen Unter­neh­men“ montags freu­dig zu Arbeit gehen (mich selbst einge­schlos­sen) – geschenkt. Nichts­des­to­trotz ist es eine Freude, wie das Buch mich als Lese­rin mit Fragen konfron­tiert, die einige herr­schende Para­dig­men unse­rer Zeit hinter­fra­gen, die aber auch ganz konkrete Impulse für Verän­de­run­gen des Arbeits­le­bens geben. Ich habe gelernt, was ein „Feel­good-Mana­ger“ macht und was ein „Frol­lege“ ist. Vor allem aber bin ich gestärkt in meiner Über­zeu­gung, dass Stem­pel wenig hilf­reich sind, und dass der „Gene­ra­tion Y“-Stempel irgend­wie nichts mit dem Alter zu tun hat, sondern der Wunsch nach guten Arbeits­be­din­gun­gen und einem erfüll­ten Leben nichts ist und sein sollte, was nur eine Gene­ra­tion umtreibt. Für mich eine der zentra­len Botschaf­ten des Buches.

Thank God it’s Monday!: Wie wir die Arbeits­welt revo­lu­tio­nie­ren | von Dark Horse Inno­va­tion | erschie­nen im Econ Verlag | 208 Seiten | 16,99€ | ISBN-13 978343020171