Kolle­giale Führung – (Wie) geht das?

28. August 2017 von Anna Schulte

„Führung ist zu wich­tig, um sie nur Führungs­kräf­ten zu über­las­sen“. Diesem Leit­ge­dan­ken folgt das Buch Das kolle­gial geführte Unter­neh­men – Ideen und Prak­ti­ken für die agile Orga­ni­sa­tion von morgen von Bern Oeste­reich und Clau­dia Schrö­der. Aber wer soll sonst führen, wenn nicht die Führungs­kräfte? Heißt kolle­giale Führung, dass niemand mehr führt und alles kollek­tiv und kolle­gial ausdis­ku­tiert wird? Ist das die agile Orga­ni­sa­tion von morgen?
Im Gegen­teil – lautet die Antwort der Autor*innen: Führung ist und bleibt ein zentra­ler Erfolgs­fak­tor für Orga­ni­sa­tio­nen und Unter­neh­men in einer zuneh­mend komple­xen und schnell­le­bi­gen Zeit. Und auch Hier­ar­chie ist weiter­hin ein notwen­di­ges Wesens­merk­mal von Orga­ni­sa­tio­nen. Das jedoch, was zukünf­tig unter Führung und Hier­ar­chie verstan­den und gelebt wird, unter­schei­det sich grund­le­gend von dem, was heute noch vieler­orts darun­ter verstan­den wird.

Netz­werk­or­ga­ni­sa­tio­nen, Sozio­kra­tie und Holok­ra­tie

Graphik des Buches "Das kolelgial geführte Unternehmen"

In Ihrem Buch stel­len die beiden Autor*innen das Modell der „kolle­gia­len Kreis­or­ga­ni­sa­tion“ vor, das eine Synthese unter­schied­li­cher Ansätze und prak­ti­scher Erfah­run­gen darstellt. Wissen und Erfah­run­gen aus Netz­werk­or­ga­ni­sa­tio­nen, Sozio­kra­tie und Holok­ra­tie flie­ßen ebenso ein wie  System­theo­rie und syste­mi­sche Orga­ni­sa­ti­ons­ent­wick­lung (siehe unten­ste­hende Grafik). Was das Buch aller­dings beson­ders auszeich­net, sind die prak­ti­schen Erfah­run­gen und Beispiele aus der (Unter­neh­mer- und Berater-)Tätigkeit der Autor*innen sowie zahl­rei­cher ande­rer kolle­gial-selbst­or­ga­ni­sier­ter Unter­neh­men. Was entsteht ist eine Art „Leit­fa­den“ für agile Orga­ni­sa­tio­nen und Unter­neh­men auf dem Weg zu mehr Selbst­or­ga­ni­sa­tion, der vieles einführt und in Zusam­men­hang setzt und konkrete Umset­zungs­vor­schläge gibt. Aller­dings alles ohne den (nicht zu erfül­len­den) Anspruch eines „Koch­buchs mit detail­lier­ten Rezep­ten“, sondern viel­mehr als Appe­tit­ma­cher, der Lust macht auszu­pro­bie­ren und die eige­nen Zuta­ten zu wählen. Schrö­der und Oeste­reich stel­len Hinter­gründe und Konzepte über­sicht­lich dar, berei­ten sie teil­weise (neu) visu­ell auf und stel­len stän­dig Zusam­men­hänge dar und geben Hinweise zur tiefer­ge­hen­den Lektüre. Wissend, dass ihr Buch kein abschlie­ßen­des Werk ist, sondern eine Moment­auf­nahme, die bestän­dig dazu einlädt erwei­tert zu werden.

Graphik von kollegiale-fuehrung.de

Viele Ideen und Konzepte, die dort vorge­stellt werden, sind nicht gänz­lich neu, doch den Autor*innen gelingt es, einen Bogen zu span­nen von einfüh­ren­den konzep­tu­el­len und einbet­ten­den Hinter­grund­be­schrei­bun­gen (Warum das alles? Und warum jetzt?) hin zu konkre­ten Beispie­len (Wie genau kann es funk­tio­nie­ren? Was könnte hilf­reich sein auszu­pro­bie­ren? Welche Struk­tu­ren, Prozesse, Metho­den könn­ten zu uns passen?). Das Buch ist dazu in vier Haupt­ka­pi­tel geglie­dert. Die Einlei­tung geht der Frage nach, warum es derzeit neue Führungs­prin­zi­pien braucht. Im zwei­ten Teil, „Struk­tu­ren und Rahmen“, werden zugrunde liegende Konzepte vorge­stellt und die „kolle­giale Kreis­or­ga­ni­sa­tion“ genauer beschrie­ben. Unter „Prozesse, Werk­zeuge und Fertig­kei­ten“ werden Prak­ti­ken, die in kolle­gial geführ­ten Unter­neh­men hilf­reich sein können, vorge­stellt. Zudem werden Mecha­nis­men von Entschei­dungs­fin­dung, Refle­xion und Kommu­ni­ka­tion beschrie­ben – anschau­lich und konkret. Immer wieder mit dem Hinweis verbun­den, dass es keine Stan­dard­lö­sung gibt. Um dann am Schluss noch­mal den Bogen zu schla­gen. Unter der Über­schrift „Denken, Unter­schei­den und Begriffe“ werden wich­tige Unter­schei­dun­gen und Begriffe noch­mals deut­lich.

Reinven­ting Orga­niza­ti­ons weiter gedacht

Wenn wir selbst Orga­ni­sa­tio­nen bera­ten, die sich auf dem Weg zu agilen Struk­tu­ren befin­den und sich fragen, wie sie Entschei­dungs­ver­fah­ren und Rollen neu defi­nie­ren können, hören wir uns häufig den Satz sagen „Es gibt da kein Patent­re­zept. Sie müssen probie­ren, was zu Ihnen passt.“ (vgl. Blog­bei­trag „Agiles Arbei­ten – brau­chen wir das?”). Ebenso wie auch die Autor*innen des Buchs sind wir davon über­zeugt, dass der Weg hin zu einem „kolle­gial geführ­ten Unter­neh­men“ ein Weg des Auspro­bie­rens, Schei­terns aber auch des Festi­gens ist. Ein Weg auf dem derzeit viele Orga­ni­sa­tio­nen Neues erpro­ben – und schon viele Erfah­run­gen gemacht haben. Schön, dass viele von ihnen in diesem Buch vorge­stellt werden und direkt oder indi­rekt mitge­wirkt haben. Clau­dia Schrö­der und Bernd Oeste­reich führen in ihrem Buch vieles zusam­men und stel­len wich­tige Schritte für Inhaber*innen und Entscheider*innen vor, die derzeit aufbre­chen zu neuen Formen der Zusam­men­ar­beit. Wer kann einen solchen Prozess ansto­ßen? Wessen Rück­halt braucht es unbe­dingt? Welche Tech­ni­ken und Metho­den funk­tio­nie­ren andern­orts? Wie kann das viel­leicht auch bei uns funk­tio­nie­ren? Mit wem kann ich mich dazu austau­schen?

Damit gehen Oeste­reich und Schrö­der den nächs­ten Schritt nach Frédé­ric Laloux mit Reinven­ting Orga­niza­ti­ons und zeigen Antwor­ten auf die Frage des „Wie genau kann es bei uns funk­tio­nie­ren?“ Sie schaf­fen es, sowohl Begriffe und Konzepte zu klären und in Bezug zu setzen, als auch konkret und prak­tisch zu werden. Und das in einer Art und Weise, die „kolle­giale Führung“ nicht zu etwas Elitä­rem erklärt, sondern den Anspruch hat, etwas vorzu­stel­len, dass in unter­schied­lichs­ten Bran­chen und Kontex­ten nutz­bar und sinn­voll sein kann. Ein visu­ell anspre­chend und über­sicht­lich aufbe­rei­te­tes Buch, im (für mich persön­lich anfangs gewöh­nungs­be­dürf­ti­gen) Quer­for­mat, das zahl­rei­che Quer­ver­weise, Links und ein großes Ange­bot an Mate­rial mit Crea­tive-Common-Lizenz enthält. Sowohl für Bera­tende als auch für Entscheider*innen in Orga­ni­sa­tio­nen ist die Lektüre damit ein weite­rer Baustein in einem großen Netz­werk von Menschen, die sich derzeit im Dialog dazu befin­den, wie Zusam­men­ar­beit zukünf­tig sinn­voll gestal­tet sein kann.

Kolle­gia­ler Austausch

Ebenso wie die Autor*innen selbst glau­ben wir nicht, dass Bücher ausrei­chen, um Neues zu erpro­ben und zu festi­gen. Der Austausch von Erfah­run­gen mit selbst­or­ga­ni­sier­ter und kolle­gia­ler Führung wird auch in Zukunft wich­tig blei­ben. Daher freuen wir uns über viele Möglich­kei­ten dazu – unter ande­rem beim nächs­ten AUGEN­HÖ­HE­Camp am 28. Septem­ber in Berlin. denk­mo­dell auf Augen­höhe!

Das kolle­gial geführte Unter­neh­men: Ideen und Prak­ti­ken für die agile Orga­ni­sa­tion von morgen, Bernd Oeste­reich und Clau­dia Schrö­der, 320 Seiten, Vahlen Verlag, Novem­ber 2016 | Mehr Infor­ma­tio­nen zum Buch, den Autor*innen sowie weter­füh­rende Links und Mate­ria­lien auch unter: kollegiale-fuehrung.de