Streit kann viele Gründe haben – Wie aus Media­tion unver­se­hens Orga­ni­sa­ti­ons­be­ra­tung wird

17. Mai 2018 von Albert Eckert

Konflikte gehö­ren zum Leben dazu? Ja, genau… und manch­mal braucht es im Berufs­le­ben jeman­den der mit allpar­tei­ischem Blick den Konflikt betrach­tet und mit den Betrof­fe­nen bear­bei­tet. Oft kommen Konflikte in unse­rem Bera­tungs­all­tag eher „spon­tan“ ans Licht, z.B. während einer Klau­sur­ta­gung oder einer Mode­ra­tion. Je nach Konflikt braucht es dann eine entspre­chende Inter­ven­tion.

In diesem Blog­bei­trag plau­dern wir aus dem Nähkäst­chen: Wie aus einem Führungs­kräf­te­feed­back eine Media­tion und schließ­lich eine Orga­ni­sa­ti­ons­ent­wick­lung wurde. Aber lesen Sie selbst…

Konflikt wird im Führungs­kräfte-Feed­back sicht­bar

Foto von einem Headset

Der Konflikt war hoch­e­ska­liert, die Fetzen flogen. Im Nige­ria-Büro* einer Entwick­lungs­or­ga­ni­sa­tion hatte eine erfah­rene lokale Bera­te­rin ein Feed­back für Alice N.*, die weib­li­che, sehr fach­kom­pe­tente Führungs­kraft, mit den 24 Mitar­bei­ten­den des inter­na­tio­nal besetz­ten Teams zu mode­rie­ren. Es flog ihr buch­stäb­lich um die Ohren: Einzelne Mitar­bei­tende trau­ten sich nicht, etwas zu sagen, manche schwänz­ten den Pflicht-Termin sogar, von den ande­ren wurde Alice N., die Team-Chefin, regel­recht nieder­ge­macht. Ein diffe­ren­zier­tes Bild der Führungs­qua­li­tä­ten und Ansatz­punkte zur Verän­de­rung konn­ten so unmög­lich heraus­ge­ar­bei­tet werden. Die Bera­te­rin schlug eine Media­tion vor – das war das Einzige, worauf man sich eini­gen konnte. Mit der Media­tion wurde denk­mo­dell beauf­tragt.

In der Auftrags­klä­rung der Media­tion war es die größte Heraus­for­de­rung, sich nicht schon zu Beginn die Finger zu verbren­nen, also nicht als partei­isch zu erschei­nen. Es galt, bereits im Vorfeld ein möglichst viel­sei­ti­ges Bild des Konflikts zu bekom­men, ohne bereits massiv in den Konflikt zu inter­ve­nie­ren.

Da auch Fragen oft eine wirk­same Inter­ven­tion sein können, ist viel Finger­spit­zen­ge­fühl nötig um an Infor­ma­tio­nen über den Konflikt zu kommen. Prak­ti­scher­weise hatte sich Jens R., der stell­ver­tre­tende Team-Chef, zu einer Art Spre­cher der Kritiker/innen von Alice N. gemacht. So konn­ten in länge­ren Tele­fo­na­ten mit Alice N.  einer­seits und ihrem Stell­ver­tre­ter Jens R. ande­rer­seits bereits wesent­li­che Facet­ten des Konflikts sicht­bar gemacht werden. Die Haupt­klage war, Alice N. betreibe zu viel Mikro-Manage­ment, sie mische sich in alles ein, wolle alles kontrol­lie­ren, koope­riere nicht mit ihrem Stell­ver­tre­ter, blockiere wich­tige Vorha­ben unnö­tig lange, entscheide zu lang­sam und mit zu wenig Betei­li­gung der Betrof­fe­nen. Dane­ben wurden ihr Kommu­ni­ka­ti­ons­stil und ihr strikt hier­ar­chi­scher Umgang mit wich­ti­gen Infor­ma­tio­nen kriti­siert. An ihrer fach­li­chen Quali­fi­ka­tion für den Posten wurde nicht gezwei­felt, sie wurde sogar allseits für ihre fach­li­che Exper­tise gerühmt. Und früher sei alles besser mit ihr gewe­sen, es habe sich erst im letz­ten Jahr derart zuge­spitzt.

Verlang­sa­men als Methode der Media­tion

Foto von zwei Frauen die sich gegenüber sitzen und sich unterhalten

Beim ersten Einsatz des denk­mo­dell-Media­tors in Abuja waren die Erwar­tun­gen hoch. Der dämpfte diese erst einmal  und legte einen detail­lier­ten Plan für die Abfolge von Einzel- und klei­ne­ren Grup­pen­ge­sprä­chen vor, der mit Alice N. und Jens R. vorher abge­stimmt war.  Eigent­lich waren große Team­run­den erwar­tet und teil­weise befürch­tet worden, in denen es rasch neue Dyna­mi­ken geben würde und man sich entwe­der versöh­nen oder voll­ends entzweien würde. Durch die trans­pa­rente Auftei­lung in klei­nere Gesprächs­ein­hei­ten wurde einer neuer­li­chen Eska­la­tion vorge­beugt, ohne aller­dings den Eindruck zu geben, der Konflikt werde auf die lange Bank gescho­ben. Gerade in hoch­e­ska­lier­ten Konflik­ten hilft es, das Konflikt­ge­sche­hen zeit­weise „auf Eis“ zu legen, zu verlang­sa­men (Slowing Down) und plan­voll die verschie­de­nen Seiten des Konflik­tes kennen zu lernen. Dabei dürfen Emotio­nen nicht unter­drückt werden, ledig­lich die große Bühne dafür wird vermie­den. Durch die Konzen­tra­tion auf Bedürf­nisse und Inter­es­sen (statt auf die laut­hals geäu­ßer­ten Posi­tio­nen) wird in der Media­tion nach und nach der Grund für mögli­che Lösun­gen gelegt.

Eine erste Hypo­these stellte sich dabei als falsch heraus: Grund­lage der Span­nun­gen waren nicht inter­kul­tu­relle Konflikte. Der Stoff dazu wäre da gewe­sen: das Team war bunt zusam­men­ge­setzt, die loka­len Kräfte waren ungleich schlech­ter bezahlt, in Alter, Klei­dung und Habi­tus waren große Unter­schiede sicht­bar. Das Team ging mit seiner Unter­schied­lich­keit jedoch erstaun­lich gelas­sen und selbst­ver­ständ­lich um. Es gab eher Alli­an­zen quer zu den Diver­si­täts-Dimen­sio­nen. Seine inter­kul­tu­relle Mündig­keit war dem Team gar nicht bewusst, sie wurde vom Media­tor immer wieder hervor­ge­ho­ben. Damit konnte er Wert­schät­zung zeigen, ohne sich auf eine Seite zu stel­len.

Auch eine zweite Hypo­these musste aufge­ge­ben werden: Der Team-interne Konflikt, so war die Vermu­tung, spie­gelte die Konflikte in der Umwelt wider.

Dafür schien es zunächst deut­li­che Anhalts­punkte zu geben: Die nige­ria­ni­schen Projekt-Part­ner/in­nen der Entwick­lungs­or­ga­ni­sa­tion waren unter­ein­an­der verfein­det und versuch­ten, unter­schied­li­che Team­mit­glie­der jeweils auf ihre Seite zu ziehen. Das wurde jedoch im Team profes­sio­nell reflek­tiert, man ließ sich nicht von außen spal­ten. Die Wert­schät­zung des Media­tors für diese soli­da­ri­sche Arbeits­hal­tung freute alle im Team und stärkte das Vertrauen in den Media­ti­ons­pro­zess.

Persön­li­che Konflikte zuerst aus dem Weg räumen

Foto von einem beschiebenen Papier darauf liegt eine Visitenkarte und ein Stift

Zwischen Alice N. und einem wich­ti­gen wissen­schaft­li­chen Mitar­bei­ter herrschte seit einem halben Jahr Funk­stille. Sie spra­chen nie direkt mitein­an­der, sahen sich nur in großen Runden und kommu­ni­zier­ten ansons­ten ledig­lich schrift­lich oder über andere. Mit den Tech­ni­ken des Spie­gelns (Mirro­ring) und des Umdeu­tens (Reframing) gelang es in Einzel­ge­sprä­chen, frühere gegen­sei­tige Verlet­zun­gen aufzu­de­cken und eine Bereit­schaft zum ersten kurzen mode­rier­ten Dialog zu stif­ten, woraus drei eini­ger­ma­ßen klärende Gesprä­che hinter­ein­an­der wurden. Zudem wurde ein Fahr­plan für die nächs­ten Monate verein­bart, der Coachings für beide und weitere mode­rierte Begeg­nun­gen vorsah.

Derart fest­ge­fah­rene persön­li­che Konflikte können auf ein ganzes Team durch­schla­gen. Sie können den Kommu­ni­ka­ti­ons­stil im Alltag  prägen und ein Team lähmen.

Doch auch die dritte Hypo­these, wonach es dieser Konflikt war, der das Team prägte und bei dem eingangs genann­ten Feed­back-Gespräch für Alice N. zum Streit-Chaos geführt hatte, erwies sich als unzu­rei­chend. Zwar hatte dieser Konflikt das Klima im Team in der Tat weiter verschlech­tert, doch war er nicht die Haupt-Grund­lage der Span­nun­gen.

Struk­tu­relle Ursa­chen des Konflikts gezielt bear­bei­ten

Foto von unserem Seminarraum indem Teilnehmer und Trainer vor einer Flipchart sitzen

Immer wieder war in den Einzel- und Grup­pen­ge­sprä­chen geäu­ßert worden, Alice N. wirke wie ein stän­dig verstopf­ter Flaschen­hals. Man warte viel zu lange auf wich­tige Entschei­dun­gen, manch­mal stehe man ewig im Flur Schlange vor ihrer Tür, bloß um eine drin­gend benö­tigte Unter­schrift zu erhal­ten.  Früher sei das besser gewe­sen.

Für den Orga­ni­sa­ti­ons­be­ra­ter waren das deut­li­che Anzei­chen für Wachs­tums­schmer­zen. Es stellte sich heraus, dass das Team in einem rasan­ten Wachs­tums­pro­zess steckte. Immer mehr Mitar­bei­tende dräng­ten sich in den Räumen, ein Viel­fa­ches der frühe­ren Projekt­gel­der war umzu­set­zen. Die Führungs­struk­tur blieb jedoch wie früher. In einem klei­nen Team mit kurzen Wegen war Alice N.s Führungs­stil noch ange­mes­sen und effi­zi­ent gewe­sen. Im rasch gewach­se­nen Team war sie zum Nadel­öhr gewor­den und behin­derte den Arbeits­fluss. Das hatte sie längst gemerkt und bei der Mutter­or­ga­ni­sa­tion Verstär­kung für die Führung ange­for­dert, die ihr jedoch zunächst aus Kosten­grün­den verwei­gert wurde.

Im Media­ti­ons­pro­zess schälte sich das schnelle Größen-Wachs­tum ohne Mitwach­sen der Steue­rungs­funk­tio­nen als die zentrale struk­tu­relle Ursa­che der Konflikte heraus. So erwuchs aus dem Media­ti­ons­pro­zess ein Prozess der Orga­ni­sa­ti­ons­ent­wick­lung. Aus einem Team soll­ten drei Teams werden, die von einer gemein­sa­men Führung zusam­men­ge­hal­ten werden soll­ten. Diese Verän­de­rung sollte jedoch nicht über­has­tet gesche­hen. In einer Risiko-Land­karte wurde sorg­fäl­tig erfasst, was dabei schief gehen könnte. So konn­ten bei der Planung der Imple­men­tie­rung der neuen Struk­tur die vorhan­de­nen Konflikt­po­ten­tiale berück­sich­tigt werden und ein reibungs­ar­mer Über­gang bei laufen­dem Projekt­be­trieb erreicht werden.

Streit kann verdammt viele Gründe haben. Oft sind es aber nicht die Gründe, die als Thema über dem Konflikt stehen, wie hier das Thema einer vermeint­lich unfä­hi­gen Führungs­kraft. Bei der Suche nach den Ursa­chen von Arbeits­platz-Konflik­ten kann eine nüch­terne Orga­ni­sa­ti­ons­dia­gnose, die Arbeits­ab­läufe  und Steue­rungs­struk­tur in den Blick nimmt, ausge­spro­chen hilf­reich sein. Im besten Fall kann der Streit wie im beschrie­be­nen Fall produk­tiv gewen­det und die Streit-Ener­gie zur Verän­de­rung genutzt werden.

*Namen und Orte wurden verän­dert

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