Kolle­giale Fall­be­ra­tung – Neues aus dem denk­mo­dell Metho­den­kof­fer

15. Februar 2018 von Lucia Stall

Heute öffnen wir wieder unse­ren Metho­den­kof­fer und teilen eine Methode mit Ihnen, die ebenso alt bewährt wie aktu­ell ist: „Kolle­giale Fall­be­ra­tung“. Die kolle­giale Fall­be­ra­tung ist ein Format, in dem Menschen sich in einem fest defi­nier­ten Rahmen von circa einer Stunde dem Anlie­gen eines*einer „Fall­ge­ben­den“ widmen – im Grunde eine Art „Bera­tung“ ohne das Beisein einer exter­nen Mode­ra­tion. Wir führen „Kolle­giale Fall­be­ra­tung“ gern in Kontex­ten ein, in denen Teams – beson­ders Führungs­teams – befä­higt werden sollen, sich gegen­sei­tig zu unter­stüt­zen und vonein­an­der zu lernen. Ein Baustein hin zur „lernen­den Orga­ni­sa­tion“ – beson­ders aktu­ell deshalb, weil es ein Instru­ment ist, das auch in agilen Kontex­ten und in selbst­ge­steu­er­ten Team höchst nütz­lich ist. Aber auch in Trai­nings ist Kolle­giale Bera­tung ein Format, das sehr gut nutz­bar ist.

Kolle­giale Fall­be­ra­tung – Was genau ist das?

Bei der kolle­gia­len Fall­be­ra­tung handelt es sich um Bera­tungs­ge­sprä­che unter Kollegen*innen, in denen konkrete Anlie­gen aus dem profes­sio­nel­len Kontext bespro­chen werden. Im Gegen­satz zu kurzen Gesprä­chen zwischen Tür und Angel liegt der Fokus dabei auf einem geziel­ten und syste­ma­ti­schen Austausch. Nach­dem der Fall­ge­bende die Heraus­for­de­rung oder Frage der Gruppe von zwei bis vier Kolleg*innen kurz darge­stellt hat, folgt eine Phase gemein­sa­men Reflek­tie­rens der Bera­ten­den, in denen möglichst unter­schied­li­che Perspek­ti­ven auf das Anlie­gen gesam­melt werden und Hypo­the­sen aufge­stellt werden, worum es im Kern wirk­lich geht. Darüber bekommt der*die Fall­ge­bende Impulse und Hinweise, zur Lösung, die nicht den Charak­ter eines Rats oder einer Lösung haben („Du soll­test jetzt mal…“, „Warum hast du noch nicht…?“). Viel­mehr geht es darum, Sicht­wei­sen von außen zu nutzen, um die eigene Perspek­tive zu hinter­fra­gen, zu erwei­tern und so in die Lage zu kommen, das Anlie­gen tiefer zu verste­hen und geziel­ter zu Lösun­gen zu entwi­ckeln. Als regel­mä­ßig prak­ti­zier­tes Format des Austauschs fördert es die Unter­stüt­zung inner­halb des Kolleg*innenkreises sowie den offe­nen Umgang mit Unsi­cher­hei­ten, Fragen und Schwie­rig­kei­ten.

Für welche Anlie­gen eignet es sich?

Mögli­che Fälle sind konkrete, aktu­elle Praxis­si­tua­tio­nen aus dem Berufs­all­tag, die außer­halb der Gruppe ange­sie­delt sind und den*die Fallgeber*in beschäf­ti­gen. Das können z.B. sein: Konflikte mit Kolleg*innen, Heraus­for­de­run­gen mit Arbeits­auf­ga­ben oder persön­li­che Arbeits-/ Verhal­tens­mus­ter.

Mögli­che Frage­stel­lun­gen:
  • „Mir passiert immer wieder, dass …“
  • „Ich wollte immer schon mal für mich klären, …“
  • „Folgende Situa­tion beschäf­tigt mich seit Tagen …“
Wich­tige Ausgangs­punkte:
  • eine offene und konkrete Frage­stel­lung
  • klare Formu­lie­rung aus der „Ich-Perspek­tive“
  • posi­tive Ziel­rich­tung der Frage­stel­lung
  • das Ziel sollte selbst beein­fluss­bar sein
  • die Frage­stel­lung muss persön­lich rele­vant sein
Auswahl der Berater*innen

Für eine kolle­giale Fall­be­ra­tung soll­ten Sie idea­ler­weise zwei bis vier Kolleg*innen auswäh­len. Über­le­gen Sie dabei, von wem Ihnen eine Sicht­weise hilf­reich sein könnte. Dies muss nicht immer der*die vertrau­teste Kolleg*in sein, häufig ist gerade die Perspek­tive eines*einer Außen­ste­hen­den ziel­füh­rend. Viel­leicht kann es auch mal jemand aus einer ande­ren Einrich­tung sein. Wich­tig ist trotz­dem, dass Sie sich in dem ausge­wähl­ten Kreis wohl fühlen und Schwie­rig­kei­ten offen anspre­chen können. Auch inner­halb bestehen­der Hier­ar­chien ist das Format anwend­bar – damit muss aber bewusst umge­gan­gen werden. Oft empfin­den es Menschen als hilf­rei­cher, wenn die Gruppe inner­halb einer einheit­li­chen Hier­ar­chie­ebene ist oder aber es gar keine direkte Zusam­men­ar­beit gibt (z.B. Austausch mit Führungs­kräf­ten aus unter­schied­li­chen Einrich­tun­gen).

Kolle­giale Fall­be­ra­tung in fünf Schrit­ten (45 min)

  1. Schritt: Anlie­gen­schil­de­rung (5 min): Sie als Fallgeber*in schil­dern das Anlie­gen möglichst verständ­lich und nach­voll­zieh­bar.
  2. Schritt: Fragen­klä­rung (10 min): Berater*innen fragen nach und stel­len sicher, dass Sie das Anlie­gen rich­tig verstan­den haben. Hier werden noch keine Inter­pre­ta­tio­nen oder Deutun­gen vorge­nom­men.
  3. Schritt: Hypo­the­sen­bil­dung (15 min): Sie ziehen sich etwas zurück (gern entfernt auf einem Stuhl mit dem Rücken zu den Berater*innen sitzen), hören dabei aber weiter­hin zu während die Berater*innen mögli­che Inter­pre­ta­tio­nen der Situa­tion als Hypo­the­sen zusam­men­stel­len – ohne sie auszu­dis­ku­tie­ren. Es dürfen viele plau­si­ble Sicht­wei­sen gesam­melt werden – auch sich wider­spre­chende. Es soll­ten keine Lösun­gen sein – nur Beob­ach­tun­gen, Speku­la­tio­nen und Vermu­tun­gen.
  4. Schritt: Rück­spie­ge­lung (10 min): Sie gehen die Hypo­the­sen durch und geben Rück­mel­dung: Was ist hilf­reich, was eher nicht? Was lösen die jewei­li­gen Hypo­the­sen aus? Was hat Sie über­rascht?
  5. Schritt: Auswer­tung (5 min): Der Reihe nach geben alle Betei­lig­ten der Runde Rück­mel­dung zum Bera­tungs­pro­zess – nicht mehr zum Inhalt.

Eine erwei­terte Vari­ante sieht vor, im Anschluss an Schritt 4 noch in die gemein­same Entwick­lung von Lösun­gen zu gehen, um den*die Fallgeber*in mit Ideen auszu­stat­ten. Ob dies sinn­voll und wünschens­wert ist, hängt schluss­end­lich vom Anlie­gen ab. Unse­rer Erfah­rung nach, ist der zentrale Teil in Schritt 3 häufig so inten­siv und aufschluss­reich, dass die Lösungs­fin­dung dem Fall­ge­ben­den weni­ger schwie­rig erscheint.

Foto von einem denkzettel "Kollegiale Beratung"

Wir haben für die kolle­giale Bera­tung auch einen denk­zet­tel “Kolle­giale Bera­tung” ange­fer­tigt – eine  Anlei­tung in Klein­for­mat. Die Gedan­ken­stütze eignet sich perfekt für jede Tasche.

In welchen Kontex­ten verwen­den Sie die kolle­giale Fall­be­ra­tung? – Wie immer freuen wir uns über Anre­gun­gen oder Fragen in den Kommen­ta­ren oder via E‑Mail.