Der Kongress tanzt – Begeis­ternde Veran­stal­tun­gen

29. Juli 2014 von David Koschel
Photo des Buchcovers "Der Kongress tanzt"

„Wie gestal­ten wir Kongresse, bei denen die Teil­neh­men­den trau­rig sind, wenn der Schluss­gong ertönt?“. Diese Frage stellt Michael Gleich in seinem Einfüh­rungs­bei­trag von „Der Kongress tanzt“. Mir kam die Analo­gie zum Fußball in den Kopf: Hier kann der Schluss­pfiff nach 90 Minu­ten ein Spek­ta­kel been­den oder nach einem zähen takti­schen Geplän­kel die Erlö­sung aller Zuschauer*innen sein. Die jüngste WM hat mal wieder eindrück­lich gezeigt: Wir möch­ten begeis­tert werden und uns begeis­tern. Das gilt auch für Kongresse und Konfe­ren­zen.

So wich­tig und inhalt­lich bedeu­tend die Inhalte auch sein mögen – es ist wenig unter­halt­sam und schon gar nicht begeis­ternd, wenn sich das Publi­kum einer Konfe­renz zum Schluss­ple­num bereits auf ein kaum noch applau­dier­fä­hi­ges Grüpp­chen ausge­dünnt hat. Oder wenn sich im Audi­max die aus 80 Perso­nen bestehen­den Klein(!)gruppen einer Groß­kon­fe­renz hinter­ein­an­der reihen, bereit zum Dialog mit den Hinter­köp­fen der Mitteil­neh­men­den.

„Der Kongress tanzt“ ist ein Buch mit Beiträ­gen von Mitglie­dern des gleich­na­mi­gen Netz­werks, das 2010 von Michael Gleich und Tina Gadow gegrün­det wurde. Die Herausgeber*innen verste­hen das Buch als ein „Plädoyer für Veran­stal­tun­gen, die begeis­tern und bewe­gen.“ Und dabei ist der Titel Programm. Es ist ein Buch, geschrie­ben von Menschen, die sich glaub­haft begeis­tern für die Idee von tanzen­den Kongres­sen (was nicht nur meta­pho­risch gemeint sein dürfte), die inspi­riert sind und enga­giert sind, die ein Anlie­gen haben.

Ein Anlie­gen mit Dimen­sion: Laut dem German Conven­ti­ons Bureau zählen Konfe­ren­zen, Kongresse und andere Groß­ver­an­stal­tun­gen dieser Art in Deutsch­land pro Jahr ca. 300 Mio. Teil­neh­mende. Nach Umfra­gen unter Führungs­kräf­ten sind die drei Haupt­be­weg­gründe, an Konfe­ren­zen teil­zu­neh­men oder Mitarbeiter*innen dort hin zu schi­cken: Lernen, Networ­king und verbes­serte Moti­va­tion. Das Problem: Zu viele dieser 300 Mio. Menschen verlas­sen Konfe­ren­zen mit einer nüch­ter­nen Bilanz: Nichts gelernt (weil einge­schlä­fert), keine Zeit zum Networ­ken (weil Vorträge über die Zeit gingen), und zu guter Letzt auch noch matter und müder als nach einem Tag im Büro. Wieso muss dem so sein, fragen sich die Autor*innen von „Der Kongress tanzt“ berech­tig­ter­weise.

Und sie antwor­ten mit einem Plädoyer für Veran­stal­tun­gen, die begeis­tern. Spaß haben statt Lernen also? Tanzen statt Inhalte voran brin­gen? Nein! Den Autor*innen geht es nicht um Spaß an der Freude. Im Gegen­teil: Ihr Anlie­gen ist es, einma­lige Momente zu schaf­fen, in denen Ideen, Inno­va­tion und Neue­run­gen entste­hen können – durch Freude an der Begeg­nung und durch den Einsatz aller Sinne und Intel­li­gen­zen. Die Beiträge spei­sen sich aus der Erfah­rung von Moderator*innen, Journalist*innen, Rednen-Coaches, Kommunikationsdesigner*innen, Graphic Recorder*innen und – ja – einem Pastor. Es ist kein wissen­schaft­li­ches Buch über gute Veran­stal­tun­gen – es ein Praxis­buch von Menschen, die ihre lang­jäh­rige Erfah­rung mit uns Leser*innen teilen.

Sie inspi­rie­ren durch prak­ti­sche und plas­ti­sche Erfah­run­gen und Anre­gun­gen, wie Kongresse zum Tanzen, zum Denken, zu Utopien, zum Dialog und zu einem wirk­li­chen Sich-Begeg­nen animiert werden können.

Sie ermu­ti­gen die Leser*innen in einer kolle­gia­len Anrede, „mit klei­nen Schrit­ten“ zu begin­nen, „und uns gegen­sei­tig mit einer guten Portion Nach­sicht“ zu beglei­ten. Damit lesen sich Stel­len des Buchs auch als ein ehrli­ches Einge­ständ­nis, dass es selbst den über­zeug­ten Kongresstänzer*innen unter den Moderator*innen und Veranstaltungsdesigner*innen oft Mut und Kraft abver­langt, die einge­ses­sene Konfe­renz­rou­tine des Publi­kums und die Angst der Veranstalter*innen vor dem Unvor­her­seh­ba­ren zu durch­bre­chen – ein Gefühl, das wir als Moderations-Kolleg*innen und Berater*innen nur allzu gut kennen.

Die Schil­de­run­gen und Beob­ach­tun­gen der Autor*innen schaf­fen es, zu begeis­tern aufgrund ihrer Hingabe für das Freud­volle, Berei­chernde, Viel­fäl­tige und Schöp­fe­ri­sche im Zusam­men­kom­men von Menschen auf Konfe­ren­zen – einem lebhaf­ten und leben­di­gen „con-venire“ (der latei­ni­schen Wurzeln der heute mit Drög­heit asso­zi­ier­ten „Conven­tion“).

Das Ergeb­nis: Viel­fäl­tige Inspi­ra­tio­nen für die expli­zite Ziel­gruppe Unter­neh­men, Stif­tun­gen und Veranstalter*innen, mit Wort­witz und plas­ti­schen Beispie­len illus­triert, und vielen sehr prak­ti­schen Anre­gun­gen für uns Kolleg/*nnen. Eben nicht nur ein Plädoyer, sondern ein Praxis­buch.

Man wäre am liebs­ten dabei, beim tanzen­den Kongress – jetzt, heute, hier!